Dieses Team macht den Weißen Riesen klein

Der dritte „Weiße Riese“ geht am Sonntag, 27. Juli, in die Knie. Von langer Hand wurde die Sprengung des 1972 erbauten Hochhauses in Duisburg-Hochheide vorbereitet. Sprengmeisterin Ulrike Matthes wird die 20 Etagen zu Fall bringen.

Ein erfahrenes Team der Thüringer Sprenggesellschaft um die Sprengmeisterin Ulrike Matthes führt den 63 Meter hohen Koloss kontrolliert nieder, wie es im Fachjargon heißt.

Bereits zu Jahresbeginn starteten die Vorbereitungen durch die Experten. Seit Anfang Juni sind die Sprengverantwortlichen vor Ort. Für die Bohr- und Sicherungsarbeiten waren stets vier bis sechs Mitarbeiter anwesend. Mit Beginn der sogenannten Ladearbeiten, also dem Einbringen von circa 300 Kilogramm Sprengstoff in beide Wohnblöcke und dem Herstellen der Zündanlage mit ihren gut 600 Zündern, wirkt ein elfköpfiges Team auf der Baustelle.

Ulrike Matthes an einem anderen Projekt, der Sprengung eines Industrieschornsteins in Kleinschmalkalden.

In der letzten Woche vor der Zündung ist die Anspannung beim gesamten Team und bei der Sprengberechtigten – wie der Beruf offiziell heißt – besonders spürbar. Der Fokus liegt ganz auf den „Weißen Riesen“. Für andere Themen bleibt kaum Raum. Interview? Keine Chance. Schriftlich jedoch hat die 42-jährige Diplom-Ingenieurin für Management für Bau, Immobilien und Infrastruktur einen kleinen Einblick in ihre Tätigkeit gegeben.

Wie wird man eigentlich Sprengmeisterin? „Im ersten Schritt ist das Mitwirken an Sprengungen die Grundvoraussetzung für das Erlangen der praktischen Erfahrung“, sagt Ulrike Matthes. „Durch die Teilnahme an verschiedenen Sprenglehrgängen und das Ablegen von Prüfungen erhält man seinen sogenannten Befähigungsschein. Dieser befähigt den Inhaber Sprengungen eigenständig und verantwortlich durchzuführen.“ Matthes besitzt gleich drei solcher Befähigungsscheine: für allgemeine Sprengarbeiten, für Großbohrlochsprengungen (z.B. in Steinbrüchen) und eben für Abbruchssprengungen wie am „Weißen Riesen“.

„Doch“, betont sie, „unser Job ist niemals Routine und darf es auch nicht werden. Jede Sprengung hat unterschiedliche Voraussetzungen sowie Rahmenbedingen. Keine Sprengung ist wie die andere.“ Deshalb ist auch jedes Mal besondere Vorsicht und Akribie vonnöten. „Um ein Sprengobjekt muss immer ein Absperrbereich eingerichtet werden. Dieser Bereich soll sicherstellen, dass es zu keinerlei Gefährdungen durch Sprengauswirkungen, wie zum Beispiel Sprengstreuflug, kommt“, erklärt Ulrike Matthes. Wer es genau wissen will, kann dies in der sprengtechnischen Regel „SprengTR 310“ nachlesen.

Die Thüringer Mannschaft („Eine Sprengung ist nie eine Einzelleistung. Ohne Team geht’s nicht.“) verfügt mit Blick auf die Gegebenheiten in Hochheide über wertvolle Erfahrungswerte. Auch den Sprengabbruch des letzten „Weißen Riesen“ an der Ottostraße im Jahr 2021 führte die Thüringer Sprenggesellschaft durch - das Prinzip ist dasselbe.

Wenige Minuten vor der Zündung weisen zwei kurze Signaltöne auf die bevorstehende Detonation hin. Laut Plan betätigt Ulrike Matthes schließlich um 12 Uhr am Sonntag den sogenannten Blaster – die elektronische Zündmaschine - und der dritte „Weiße Riese“ stürzt in sich zusammen.

„Die beiden Wohnhäuser - Block 54 und 56 - werden durch eine sogenannte Sprengfaltung niedergeführt. Dabei wird der Block 54 zuerst gesprengt und mit einem Zeitversatz von drei Sekunden der Block 56“, erklärt die Fachfrau. Nacht acht Sekunden liegt der Weiße Riese dann am Boden - gekippt in metertiefe Fallbetten, nach Osten und nach Westen. 

Der Weiße Riese in der Bildmitte weicht für den Stadtpark Hochheide

Für Ulrike Matthes ist dann zwar der Hauptauftrag erfüllt, aber ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen. Gemeinsam mit Kollegen von der Zündstelle nimmt sie als Erste das Sprengergebnis in Augenschein. „Wenn keine Gefahr mehr besteht, geben wir die Sprengstelle intern frei.“

Feuerwehr und Abbruchunternehmen sind dann die nächsten, die den circa 35.000 Tonnen schweren Schuttberg begutachten. Etwa eine Stunde nach Zündung folgen drei kurze Töne: Sprengung beendet. Und knapp eine weitere Stunde später erklingen die Sirenen eine Minute lang als Entwarnung für die Bevölkerung. Denn erst nach Sicherung der Baustelle dürfen die Anwohnerinnen und Anwohner wieder in ihre Häuser zurückkehren.

Der Weiße Riese hatte einst 160 Wohnungen.

"Nach der Sprengung ist vor der Sprengung"

Und dann? „Dann fällt erstmal die Anspannung der letzten Tage bei meinen Mitarbeitern und bei mir ab. Wir sind einfach nur happy, wenn alles so funktioniert hat, wie wir es geplant haben“, blickt Ulrike Matthes voraus. „Nach der Besichtigung des Sprengergebnisses und einem gemeinsamen Auswertungsgespräch geht es nach Hause zu unseren Familien, worauf wir uns alle freuen. Dann heißt es: Kraft tanken für die anstehenden Projekte. Denn nach der Sprengung ist vor der Sprengung.“

 

Stadt.Stimmen.Storys.