Was liest DU?

Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung veröffentlichte bis Mai 2022 Literatur-Empfehlungen der lokalen Buchhandlungen und der Bibliothek. Hier finden Sie unsere jüngsten Beiträge:

Vorgestellt von Christiane Bays, Lektorin der Stadtbibliothek Duisburg.

Lucy Fricke: Die Diplomatin

Friederike Andermann, genannt Fred, hat es endlich geschafft: mit Ende 40 und nach 20 Jahren im Auswärtigen Dienst ist sie Botschafterin in Uruguay. Sie möchte etwas bewirken, muss aber schon bald feststellen, dass ihre Aufgabe allzu oft aus rein repräsentativen Aufgaben besteht: „Ich stehe da rum und bin nur Deutschland“. Nach der Fehleinschätzung einer Entführung wird sie strafversetzt nach Istanbul, wo sie als Konsulin tätig ist. Hier wird sie bald konfrontiert mit dem Fall eines Deutsch-Kurden, der seine Mutter besuchen will und schon bei der Einreise zunächst inhaftiert wird und später nicht ausreisen darf. Schnell gerät Fred zwischen die Fronten von Amt und Willkür und sie greift desillusioniert zu unkonventionellen Mitteln, um Mutter, Sohn und einen Journalisten außer Landes zu schleusen.

Die Autorin ist bekannt für ihre genauen Recherchen und die Geschichte hat einen realen Hintergrund. Mit viel Selbstironie und in lakonischem Stil erzählt Fricke eine spannende Geschichte, die tiefe Einblicke in die diplomatische Arbeit gewährt.

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Kagge, Erling: Gehen. Weiter gehen - Eine Anleitung (Insel, 2018)

Es liegt in der Natur des Menschen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, Grenzen zu erforschen und zu überschreiten. Der Homo sapiens ist immer gegangen und er hört nicht auf, auf Entdeckungsreise zu gehen. Erst lernte er gehen, dann wie man ein Feuer macht und Speisen zubereitet und dann kam die Sprache. Die Sprachen, die Menschen entwickelten, spiegeln wider, dass das ganze Leben ein Gehen ist!

Søren Kierkegard behauptet, dass wir „Menschen jederzeit am Scheideweg stehen“ und somit alles was wir tun ein neuer Anfang und grenzüberschreitend ist. Gehen bedeutet Bewegung und Dynamik; die Sicht auf die Zeit verändert sich. Der Philosoph Nāgārjuna war der Meinung, dass die drei Zeiten nicht existieren; er benutzt das Gehen als eine Metapher für die Zeit: Die Vergangenheit ist vorbei und existiert nicht, die Zukunft hat noch nicht begonnen und existiert ebenfalls nicht, und die Gegenwart ist die Grenze zwischen den beiden Zeiten, sie hat kein Ausmaß und existiert daher auch nicht. Die Zeit steht nie still. Leider oder Gott sei Dank!? Es muss weitergehen. Schritt für Schritt!

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Vorgestellt von Birgit Gildehaus, Lektorin der Stadtbibliothek Duisburg

Martin Nusch: 111 Mal mit WDR 2 raus in den Westen (Emons, 2021)

2008 erschien im Emons Verlag der erste Band der „111 Orte …“-Reihe. Es sind keine Reiseführer im klassischen Sinn, sondern es werden vor allem abseitige Plätze, besondere Orte vorgestellt. Mit „111 Mal mit WDR 2 raus in den Westen“ ist nun ein Band erschienen, der zahlreiche Anregungen und Inspirationen für Ausflüge in NRW bietet. Die Tipps basieren auf Empfehlungen der Hörerinnen und Hörer von WDR 2, die in der Facebook-Gruppe „Raus in den Westen“ seit 2019 ihre Lieblingsziele austauschen. Daneben verraten auch WDR 2 Moderatoren, wie Sabine Heinrich, Fabian Raphael oder Steffi Neu ihre liebsten Ausflugsziele im Westen. Jedem Tipp ist eine Doppelseite gewidmet: Auf der linken Seite gibt es die wichtigsten Informationen zum Ziel mit persönlichen Zitaten der Tipp-Geber. Ein großformatiges Foto auf der rechten Seite rundet das Ganze ab.
Auf meiner Ausflugsliste stehen die Legobrücke in Wuppertal und die Emscher-Ruhr-Radtour für die nächste Zeit ganz oben! Die Tipps sind so vielfältig, dass für jeden etwas dabei sein dürfte.

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Vorgestellt von Dr. Jan-Pieter Barbian, Direktor der Stadtbibliothek Duisburg

Uwe Wittstock: Februar 33. Der Winter der Literatur (C.H. Beck Verlag, München 2021)

Das Buch startet mit dem Presseball in den Festsälen des Berliner Zoos am Sonnabend, 28. Januar. Noch einmal versammeln sich die Repräsentanten aus Presse, Kultur, Politik und Wirtschaft – 5000 Menschen, davon 1500 geladene Gäste mit Ehrenkarten. Während des ausgelassenen Feierns ist niemand klar, dass es ein Abschiedsfest ist. Denn zwei Tage später ernennt der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg den neuen Reichskanzler. Mit der Machtübernahme Hitlers und der NSDAP verändert sich alles in Deutschland. Das Erschreckende ist, wie schnell sich die Gesellschaft teilte – in diejenigen, die weiterhin dazugehörten, und diejenigen, die ab jetzt verstoßen wurden, und wie naiv der radikale politische Wandel selbst von denjenigen beurteilt wurde, die es eigentlich besser hätten wissen müssen. Im Verlauf des Februar 1933 wurde deutlich, dass die Zeit der Weimarer Republik und der mit ihr eng verbundenen kulturellen Moderne vorbei war.
Ein Lehrbeispiel, das hier glänzend beschrieben wird: Demokratie und Menschenrechte sind niemals selbstverständlich, sondern bedürfen der ständigen Verteidigung gegen ihre Feinde – auch in der Gegenwart.

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Vorgestellt von Matthias Ernst, Lektor der Stadtbibliothek Duisburg

Marcia Bjornerud: Zeitbewusstheit Geologisches Denken und wie es helfen könnte, die Welt zu retten (Matthes & Seitz 2020)

Zeit in geologischer Dimension
Marcia Bjornerud räumt mit den gängigen Vorstellungen unserer Wahrnehmung der Zeit und von der Geologie als Wissensgebiet der unbelebten Steine gründlich auf. Es ist faszinierend, wie sie ein geologisches Zeitverständnis jenseits der klassischen Methoden der Zeiteinteilung- und messung entwirft. Da es aus der Entstehungszeit der Erde keine Aufzeichnungen gibt, werden die Dinge selbst zu Medien, wie die über vier Milliarden Jahre alten australischen Zirkonkristalle. Bjornerud stellt Kontexte her, um diese Kristalle mit dem Wissen der modernen Naturwissenschaften nicht nur 'lesen', sondern auch verstehen zu können. Plötzlich wird Radioaktivität sinnvoll. Es gibt Erklärungen, warum Gebirge entstehen und wieder verschwinden. Breiten Raum nimmt die Darstellung ein, wie die Erde aus geologischer Sicht zu einem dem Leben zugewandten Planeten geworden ist. Viele Fakten und die geologische Zeitskala werden im Tabellenanhang des Buches prägnant auf den Punkt gebracht, dabei fehlt es der Autorin nicht an Deutlichkeit und Realitätssinn. Überhaupt wird die Autorin eine ziemlich toughe Frau sein, denn das Familienleben mit drei Kindern, eine Universitätskarriere und geologische Feldforschung sind gewiss nicht immer einfach unter einen Hut bringen.

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Vorgestellt von Dr. Jan-Pieter Barbian, Direktor der Stadtbibliothek Duisburg

René Böll, Gabriele Ewenz und Joachim Schubert: Heinrich Böll: Ein Jahr hat keine Zeit. Gedichte. (Kiepenheuer & Witsch, 2021)

Wir kennen Heinrich Böll (1917-1985) als Autor von Erzählungen, Romanen und Essays, für die er 1972 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. In diesem Buch können wir ihn als Lyriker entdecken. Wobei in seinen Gedichten die Themen seines Lebens in prägnanter Form zu finden sind: Solidarität mit den Außenseitern und Verlierern der Gesellschaft, kritische Distanzierung vom Machtestablishment in der Politik und in der katholischen Kirche, Ablehnung der inhaltsleeren Profit- und Konsumorientierung, Trauer über die Geschichtsvergessenheit und Vergangenheitszerstörung in den westdeutschen Städten der Nachkriegszeit. Die humanen Werte und die soziale Moral, die Böll als Christ zeitlebens verkörperte, für die er kämpfte und angegriffen wurde, kommen vor allem in den wunderbaren Gedichten an seine Weggefährten und Freunde zum Ausdruck. Wer in der Advents- und Weihnachtszeit nach Besinnung in der Hektik des Alltags sucht – hier kann er sie finden.


Vorgestellt von Lektorin Martina Brodmann

Kerstin Gier: Vergissmeinnicht: Was man bei Licht nicht sehen kann

Was, wenn wir von Magie umgeben wären?

Quinn, ein sportlicher, aber äußerst arroganter Typ wird eines Nachts von gruseligen Wesen verfolgt und durch einen Unfall schwer verletzt. Matilda, die er bisher nicht beachtet hat, wird durch einen Zufall zu seiner Verbündeten und Freundin. Feen, Geister, Engel und seltsame Fabelwesen mischen plötzlich in ihrem Leben mit. Quinn erfährt, dass auch er über magische Fähigkeiten verfügt. Diese Fähigkeiten helfen ihm, Matilda aus den Klauen gefährlicher Wesen zu befreien. Ist er wirklich der besagte Retter der Welten aus der Prophezeiung der geheimnisvollen Parallelwelt? 

Kerstin Gier entführt uns mit ihrem neuen Fantasyroman, dem ersten Band einer Trilogie, in eine Fantasywelt, in der es keine klaren Grenzen zwischen realer und magischer Welt gibt. 

Eine gelungene Fantasygeschichte mit viel Humor, Spannung, Liebe und einer großen Portion Magie, die sich auch in dem schönen Einband des Buches wiederspiegelt. Für Jugendliche und Erwachsene ab 14 Jahren.

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Vorgestellt von Lektorin Sabine Scherer

Burak Yilmaz: Ehrensache - Kämpfen gegen den Judenhass (Suhrkamp, 2021)

Burak Yilmaz, aufgewachsen in einer türkisch-kurdischen Familie  in Duisburg, hatte 2009 als junger pädagogischer Betreuer in einem Jugendzentrum ein verstörendes Erlebnis. Vier muslimische Jugendliche kommen herein, strecken den rechten Arm aus und brüllen „Heil Hitler“. Als er sie rausschmeißt, rufen sie im Wegrennen: „Wir sind Antisemiten. Daran kannst du nichts ändern“. Als Muslim empfindet er den Hitlergruß als Angriff auf die Menschenwürde und große Respektlosigkeit. Judenhass hatte er schon vorher erlebt - in der Koranschule, auf Familienfeiern, auf Hochzeiten im deutschen Umfeld, als Schiedsrichter auf dem Fußballplatz. Das Erlebnis im Jugendzentrum schockt ihn so sehr, dass er sich entschließt,  gegen den Judenhass zu kämpfen - für ihn wird es zur Ehrensache. Weil Hass gegen Juden ein Thema unter muslimischen Jugendlichen in Deutschland ist, fährt er seit 2012  mit jungen Muslimen von Duisburg nach Auschwitz. Mit  vier Teilnehmern entwickelte er das Theaterstück „Benjamin und Mohammed“ und tourt mit der Theatergruppe Die Blickwandler seit 2019 bundesweit durch Schulen. Heute arbeitet er als selbständiger Pädagoge und hält  Workshops und Vorträge. 2018 erhielt  er mit 31 Jahren das Bundesverdienstkreuz für sein Engagement gegen Antisemitismus und für inklusive Erinnerungskultur.

Burak Yilmaz Buch EHRENSACHE ist ein Zeugnis gegen den Hass und ein beeindruckender Lebensbericht. Für mich eine absolute Empfehlung.

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Vorgestellt von Lektorin Martina Kutscher

Volland, Holger: Die Zukunft ist smart. Du auch?

Der Brockhausartikel zum Thema beginnt so: „Die Digitalisierung beschreibt die zunehmende Vernetzung innerhalb der Lebens- und Arbeitswelt auf der Basis elektronisch verfügbarer Daten durch das Internet“. - Eine smarte Zukunft bringt aber nicht nur Annehmlichkeiten und Fortschritte für viele Lebensbereiche. Sind verfügbare persönliche Daten im Netz doch oft auch Türöffner für Datenmissbrauch und Manipulationen. Um den Durchblick zu bekommen, und die Kluft zwischen digitalen Vorreitern und uns analogen Mitmenschen zu verringern, müssen wir uns mit der digitalen Welt beschäftigen und sie hinterfragen. Denn: an der Digitalisierung kommt niemand vorbei. In 100 Fragen geht der Digitalexperte und Kulturvermittler Holger Volland den relevantesten Entwicklungen und deren Wirkung auf unser ganz persönliches Leben nach. Sein Plädoyer: kein Tausch von Privatsphäre gegen digitale Dienstleistung! Eine aufschlussreiche und wachrüttelnde Lektüre.

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Vorgestellt von Lektor Dirk Heyermann

Wolfgang Mulke: Nachhaltig Geld anlegen : Ökologisch, sozial und ethisch investieren (Stiftung Warentest, 2021)

Nachhaltiges Handeln tangiert viele Bereiche unseres Alltages. Wachsender Beliebtheit erfreut sich hierbei das Thema Geldanlage. Da kommt der aktuelle Ratgeber der Stiftung Warentest „Nachhaltig Geld anlegen - ökologisch, sozial und ethisch investieren“ gerade recht. Doch was bedeutet nachhaltig anlegen und welche Kriterien und Standards liegen dem zugrunde? Hier liefert der Ratgeber die notwendigen Informationen und ist dem Anleger dabei behilflich, seine ganz persönlichen Nachhaltigkeitsziele zu definieren und die dazu passende Geldanlage zu finden. Anhand ausgewählter Musterportfolios wird sowohl der vorsichtig agierende, als auch der offensiv orientierte Anleger angesprochen und mit dem notwendigen Wissen zum Aufbau und der Verwaltung eines eigenen nachhaltigen Depots versorgt. Dabei wird natürlich auch die Rendite nicht aus dem Auge verloren, denn ein gutes Gewissen bei der Geldanlage sollte einen Gewinn im Ergebnis nicht ausschließen.

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Vorgestellt von Lektorin Marita Fischbach

Noreena Hertz: Das Zeitalter der Einsamkeit. Über die Kraft der Verbindung in einer zerfaserten Welt. (HarperCollins, 2021)

Noreena Hertz, Professorin für Ökonomie, forscht seit Jahren zu Einsamkeit im persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Raum. Unsere ichbezogene Gesellschaft, in der Menschen glauben, an sich selbst zuerst denken zu müssen, ist eine einsame Gesellschaft. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sieht Einsamkeit als ernstes Problem. Menschen fühlen sich allein, abgeschottet, entfremdet. Eine beunruhigende Entwicklung, die durch Corona verstärkt wurde. Die Ursachen sind nicht nur persönlich, sondern Ausdruck eines politischen Zustandes. Globalisierung, Verstädterung, zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit und neue Technologien geben dem einzelnen Menschen das Gefühl, isoliert und unsichtbar zu sein.
Hertz analysiert unsere gesellschaftliche Situation, präsentiert Fakten und zeigt Wege, wie unsere Ichgesellschaft zu mehr Gemeinsamkeit finden kann. Nötig dazu sind öffentliche Räume, in denen unterschiedliche Menschen zusammen kommen sowie Wirtschafts- und Sozialreformen, um die großen Unterschiede in der Gesellschaft auszugleichen.

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Eva Schmelnik-Tommes, Abteilungsleitung Bestandsaufbau und -erschließung, empfiehlt: Christoph Peters: Dorfroman

Christoph Peters: Dorfroman (Verlag Luchterhand, 2020)

Nach 30 Jahren kehrt der Ich-Erzähler in sein Heimatdorf am tiefsten Niederrhein zurück und wird in seine Kindheit und Jugend zurückgeworfen: Die Gesellschaft ist zutiefst katholisch. „Mischehen“ zwischen Katholiken und Evangelischen werden nicht gern gesehen und die wenigen, die die WAZ lesen, wählen SPD. Alles hat seine Ordnung und Gefahr droht allenfalls von den RAF-Terroristen, deren Fahndungsfotos in den Postämtern aushängen. Sobald die Planungen für den „Schnellen Brüter“ anlaufen, kristallisieren sich im Dorf die Lager der Befürworter und Gegner heraus. Als der Kirchenvorstand dem Verkauf des Baulandes nicht zustimmt, wird dieser kurzerhand ausgetauscht. Daran ist der Vater des Erzählers maßgeblich beteiligt. Nicht nur das Dorf ist gespalten, ebenso zerreißt es den Erzähler selbst, einerseits die Vorstellungen, Traditionen und Ängste seiner Familie verinnerlicht zu haben, andererseits auch ausbrechen zu wollen. Zu gerne würde er in der links-alternativen Szene ernstgenommen werden, die im Ort ein Protestcamp eingerichtet hat, zumal er sich in eine Aktivistin verliebt hat.
Gerade wer hier am Niederrhein aufgewachsen ist, wird sich in dem Buch wiederfinden und mit aufgefrischten Erinnerungen und einigen Denkanstößen wieder aus dem Roman auftauchen.

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Vorgestellt von Dr. Jan-Pieter Barbian, Direktor der Stadtbibliothek Duisburg

George Orwell: Farm der Tiere. Ein Märchen. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Blumenbach (Manesse Verlag, München 2021)

Als er am 21. Januar 1950 im Alter von nur 47 Jahren in London an Tuberkulose starb, hinterließ Eric Arthur Blair vor allem zwei Bücher, die unter seinem Pseudonym bis heute weltberühmt sind. Neben dem Roman „1984“ steht ein „Märchen“, das allerdings auch kein Happy End kennt. Denn die Tiere auf der Herrenfarm von Mr. Jones befreien sich zwar von der Knechtung durch die Menschen; aber die gewonnene Freiheit geht in kurzer Zeit wieder verloren, weil sich die Schweine mit ihrem „Führer“ Napoleon und dem Demagogen Petzwutz immer mehr Privilegien und Macht sichern. Von den Idealen und hehren Zielen der Revolution bleibt nichts. Das Gebot „Alle Tiere sind gleich“ wird mit dem Zusatz versehen: „Aber manche Tiere sind gleicher als andere“. Am Ende ist die eine Form der Tyrannei und Ausbeutung lediglich durch eine andere ersetzt. Orwell dachte dabei an die Pervertierung der russischen Revolution durch den Stalinismus. Doch wer den Text heute aufmerksam liest, kann darin die Gefährdung von Freiheit und Gerechtigkeit nicht allein unter einer Diktatur, sondern auch in einer Demokratie erkennen. Und diese Lehre macht die Geschichte so wertvoll.

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Vorgestellt von Lektorin Elke Strunk-Stinn

Jelinek, Gerhard: Mutiger, klüger, verrückter: Frauen, die Geschichte machten (Wien: Amalthea Verlag, 2020)

Mehr als nur schön anzusehen…
Inspirierende Biographien von 25 Frauen, die Geschichte machten werden von Gerhard Jelinek, Jurist und erfahrener Journalist, dargestellt. Es geht um außergewöhnliche Frauen, die die Welt verändert haben und sich von den Anfängen der Zeit bis heute auf den verschiedenen Gebieten wie Politik, Kunst, Literatur oder Wissenschaft erfolgreich behauptet haben. Erfreulich ist, dass bei den vielen Titeln auf dem Buchmarkt, die in letzter Zeit zum Thema „Frauen“ erschienen sind, hier nicht ausschließlich ohnehin schon sehr bekannte Frauen portraitiert wurden, sondern man auch etwas über weniger bekannte erfährt, wie z.B. Olympe de Gouges, Dorothea Christiane Erxleben, Mathilde von Quedlinburg, Boudicca, Jane Elizabeth Digby, Nelly Blie, Ching Shih, Geertruida Wijsmuller-Meijer.

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Vorgestellt von Lektorin Christiane Bays

Ilja Leonard Pfeijfer: Grand Hotel Europa (Piper, 2020)

Ein Schriftsteller zieht sich in ein leicht verfallenes italienisches Hotel mit dem sinngebenden Namen „Grand Hotel Europa“ zurück. Es hat den Charme vergangener Zeiten mit seinen eleganten, ebenfalls leicht angestaubten Gästen. Soeben ist es von einem Chinesen erworben worden, der große Veränderungen plant. Der kostbare Kristallleuchter der Eingangshalle ist bereits ersetzt worden und blinkt, mit Swarovski-Schwan versehen, in hellblau bis rosa. Hier trifft der Erzähler Ilja zunächst auf den Pagen Abdul, der aus der „Wüste“ gekommen ist und dessen Geschichte man im Laufe des Romans erfährt. Eigentlich jedoch ist Ilja gekommen, um seiner verlorenen Liebe Clio nachzutrauern, mit der er in Venedig zusammengelebt hat und die er gern zurückgewinnen möchte.

Mit viel Witz und Ironie greift der Autor Themen wie Massentourismus, Migration und das untergehende rückwärtsgewandte Europa, das seine Zukunft vor lauter Nostalgie verpasst, auf.
Ein unglaublich komplexer, kluger Roman, der lange nachhallt.

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Vorgestellt von Marita Duke, Leiterin der Zentralbibliothek

Wagner, Marietheres: Epikurs Bibliothek – Geschichten vom Glück (Midas, 2020)

Worin besteht die Kunst, ein glückliches Leben zu führen? Marietheres Wagner zeigt in ihrem Buch, dass die  „Glücksphilosophie“ des Epikur überall zu finden und seine Themen zeitlos sind.
Philosophieren ist nach Epikur zielgerichtet: Es geht darum, ein möglichst gutes Leben zu führen. Ängste zu überwinden ist eine Grundvoraussetzung, um die Seelenruhe zu bewahren. Glück ist nach dieser Auffassung ein Zustand des Wohlbefindens. Epikurs Philosophie ist eine Philosophie der Freundschaft: dies meint zum einen die grundsätzlich freundschaftliche Haltung gegenüber allen Menschen. Zum anderen lässt sich die Freundschaft zu Büchern mit der zu Menschen vergleichen. Dieser Aspekt gefällt mir als Bibliothekarin sehr. Bücher sind wunderbare Begleiter für Expeditionen jeglicher Art und für die Suche nach dem Glück. Nach Reisen sehnen wir uns in dieser Zeit der Reisebeschränkungen sehr. Diese philosophische Reise mit vielen Buchtipps ist ganz frei von Beschränkungen. Also: Gute Reise!


Vorgestellt von Lektorin Birgit Gildehaus

Dirk Liesemer: Streifzüge durch die Nacht: Wie ich unsere Heimat neu entdeckte, Verlag Malik

Gerade jetzt im Winter empfinden viele Menschen die Dunkelheit als sehr bedrückend. Dass die Dunkelheit aber auch etwas sehr Spannendes und Magisches an sich hat, zeigt Dirk Liesemer in seinem Buch „Streifzüge durch die Nacht“.
Was bedeutet die Nacht für Mensch und Natur? Dieser Frage ist Dirk Liesemer nachgegangen und erkundet Deutschland in nächtlichen Streifzügen. Er erlebt finstere Winternächte und fast schon taghelle Sommernächte, besucht die dunkelste Region ebenso wie das Ruhrgebiet, eine der hellsten Gegenden Europas. Er trifft auf seinen Wanderungen im Laufe der Jahreszeiten Märchensammler, Astronomen, Jäger, Esoteriker und Vogelkundler. Von allen lernt er etwas über das Leben in der Dunkelheit.
Am Ende stellt er fest, dass die Nacht unfassbar viele Facetten hat und man sie nur kennenlernt, wenn man sich aufmacht und selbst nach draußen geht.

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Vorgestellt von Dr. Jan-Pieter Barbian, Direktor der Stadtbibliothek Duisburg

Thomas Hettche: Herzfaden. Roman der Augsburger Puppenkiste, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020

Wer liebt sie nicht: die Augsburger Puppenkiste, die Generationen von Kindern mit ihren wunderbaren Geschichten nach literarischen Vorlagen fasziniert hat. Doch wer kennt die Geschichte ihrer Erfinder und Gestalter? Um sie geht es, also um Walter und Rose Oehmischen, die das Marionettentheater 1943 gegründet haben, ihre Töchter Hannelore (genannt Hatü) und Ulla, der Schwiegersohn Hanns Joachim Marschall und der Enkel Klaus, der die Puppenkiste seit 2003 leitet. Ihnen verdanken wir so großartige Figuren am „Herzfaden“ wie den Kleinen Prinzen (von Antoine de Saint-Exupéry), Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer (von Michael Ende), den klugen Kater Mikesch und den wilden Räuber Hotzenplotz (beide von Otfried Preußler), den gut brüllenden Löwen und das Urmel aus dem Eis (beide von Max Kruse), den kleinen dicken Ritter Oblong-Fitz-Oblong (von Robert Bolt), oder das Sams (von Paul Maar). Sie alle kommen in diesem Roman vor, aber auch die wechselvolle Zeitgeschichte Deutschlands, vor deren Hintergrund die Puppenkiste in Augsburg sich entwickelte. Eine schöne Lektüre für die Feiertage im Lockdown!   

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Vorgestellt von Lektorin Sabine Scherer

Volker Rippmann: Wahnsinnig schön. Die verrückte neue Welt der Schönheitschirurgie

Dr. Volker Rippmann scheint seine Arbeit als plastischer Chirurg mit Praxen in Berlin und Köln sehr zu mögen und schreibt sehr lebendig darüber. Er schaut aber auch kritisch auf das ein oder andere Phänomen, das ihm in seinem Alltag begegnet.
Woher kommt der aktuelle Beauty-Hype? Was ist eigentlich schön und wer bestimmt das? Und welche Wünsche sollte ein Arzt vielleicht lieber unerfüllt lassen?
Als Arzt akzeptiert er wertfrei jeden noch so absurden Wunsch und versucht, diesen im Rahmen seiner Grenzen zu erfüllen. Er hinterfragt aber auch kritisch die Normen von Ästhetik und Schönheit und den Einfluss der sozialen Medien, in denen Influencer profitabel ihren „geschönten“ Körper als Statussymbol vermarkten. Sein Buch informiert sehr aktuell und enthält praktische Tipps zu geplanten OPs als Entscheidungshilfe. Man kann bei der Lektüre aber auch einfach nur staunen, sich amüsieren und erschrecken.

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Vorgestellt von Dr. Jan-Pieter Barbian, Direktor der Stadtbibliothek Duisburg

Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus

Das Motiv für dieses Buch liegt in der Biografie des Autors begründet. Die Eltern, Charles Regnier (1914-2001) und Pamela Wedekind (1906-1986), haben als Schauspieler die NS-Diktatur miterlebt und der am 6. Januar 1945 geborene Sohn fragt sich, warum sie über diese einschneidende Erfahrung ihres Lebens später so beredt geschwiegen haben? Dieses Schweigen verbindet sie mit Millionen Deutschen, denn in den 1950er und 1960er Jahren wollte sich kaum jemand dem moralisch äußerst fragwürdigen Verhalten der Menschen in den Jahren 1933 bis 1945 offen stellen, schon gar nicht der Verantwortung für die Entrechtung, Ausraubung, Vertreibung, Deportation und Ermordung der jüdischen Mitbürger. 

Um Antworten auf seine Fragen zu erhalten, hat Anatol Regnier viele Bücher zum Thema gelesen und vor allem in Archiven die Nachlässe von Schriftstellern ausgewertet. Was er im Laufe seiner jahrelangen Recherchen herausgefunden hat, stimmt ausgesprochen traurig. Denn die vermeintlichen Geistesgrößen erweisen sich bei genauem Hinsehen als genauso politisch verblendet, illoyal, opportunistisch, karrieresüchtig, intrigant und antisemitisch wie die meisten anderen Menschen in vielen Epochen – allerdings in diesem Fall unter einer brutalen Diktatur mit verheerenden Auswirkungen. Ob nun Gottfried Benn, Hans Fallada, Gustaf Gründgens, Erich Kästner und Ina Seidel, die man heute noch kennt, oder Rudolf G. Binding, Hans Friedrich Blunck, Hans Grimm, Hanns Johst, Agnes Miegel, Börries von Münchhausen und Will Vesper, die damals als Bestsellerautoren erfolgreich waren, aber heute zu Recht vergessen sind: je näher man sie ansieht, um so distanzierter blickt man auf sie zurück. Sympathisch erscheinen nur die Emigranten wie Thomas, Heinrich und Klaus Mann, Alfred Döblin, René Schickele und Carl Zuckmayer, die jedoch im Nachkriegsdeutschland lange umstritten blieben, oder Dissidenten wie Jochen Klepper und Ernst Wiechert, deren Schicksal erst spät beachtet wurde. Doch letztlich schrieb und handelte jeder für sich allein, wie es der Titel in Anlehnung an Hans Falladas berühmten Roman „Jeder stirbt für sich allein“ (zensiert erstmals 1947 veröffentlicht, vollständig erst 2011) auf den Punkt bringt: eine Gemeinschaft entstand weder im nationalsozialistischen Deutschland noch im weltweiten Exil.

Das Buch ist mit großem Fleiß recherchiert. Der Autor urteilt fundiert und nie mit einem erhobenen Zeigefinger – an vielen Stellen überlässt er das Urteil lieber dem Leser. Das macht – in Verbindung mit einem ebenso präzisen wie feinfühligen Schreibstil, der auch Raum für Ironie lässt – seine Darstellung so besonders lesenswert. Als gedrucktes Buch und als e-book ist es im Bestand der Stadtbibliothek ausleihbar.  

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